(Wie) kann ich vermeiden, dass ich geflüchtete Menschen stereotypisiere oder sie vorurteilsbehaftet einschätze?

Bei ihrer Arbeit müssen Ehrenamtliche wie Hauptamtliche geflüchtete Personen richtig einschätzen, um ihnen zum Beispiel die Angebote bereit zu stellen, die sie benötigen. Dieser Beitrag bietet Ihnen Informationen darüber wie vorgefertigte Meinungen (Stereotype und Vorurteile) über geflüchteten Menschen, Ihre Einschätzungen beeinflussen können, und wie Sie diese Beeinflussung vermeiden können.

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Wie können vorgefertigte Meinungen meine Einschätzung beeinflussen?

„Flüchtlinge sind gewalttätig.“ „Migranten sind faul.“ Diese und ähnliche generalisierte Zuschreibungen sind weit verbreitet. Da unser Geist dazu neigt, Menschen automatisch zu kategorisieren und die mit Gruppen verknüpften Zuschreibungen zu aktivieren, können derartige Stereotype unsere Einschätzungen beeinflussen. Stereotype sind in unserem Gedächtnis gespeicherte Merkmale einer Gruppe von Menschen und deren Mitgliedern. Die Stereotype gegenüber geflüchteten Personen sind uns allen in der Regel gut bekannt – selbst, wenn wir sie nicht als wahr ansehen. Wenn, wie in den oben genannten Beispielen, Stereotype negativ sind und eine generell negative Bewertung mit einer Personengruppe verknüpft ist, spricht man von negativen Vorurteilen[1]. Beeinflussen negative Stereotype und Vorurteile die Beurteilung von geflüchteten Personen, kann das ihrer Integration in die Gesellschaft im Wege stehen. Um geflüchteten Menschen stereotyp- und vorurteilsfrei zu beurteilen, ist es wichtig, dass Ehrenamtliche wie Hauptamtliche anerkennen, dass Stereotype und Vorurteile auch ihre Einschätzungen über geflüchtete Menschen beeinflussen können – manchmal sogar ohne dass sie das wollen.

Stereotype und Vorurteile beeinflussen uns auch ungewollt

In Abhängigkeit des sozialen Kontextes ist es heutzutage unterschiedlich stark verpönt, sich stereotyp- oder vorurteilsbehaftet zu äußern oder zu verhalten. Viele von uns sind sich der Unangemessenheit insbesondere von negativen Stereotypen und Vorurteilen bewusst und wollen deren Einfluss in ihren Urteilen und in ihrem Verhalten vermeiden. Allerdings gelingt es nicht immer gleichgut, den Einfluss von Stereotypen und Vorurteilen zu kontrollieren. Trotz guten Willens und hoher Motivation, vorurteilsfrei zu erscheinen, schätzen wir beispielsweise geflüchtete Männer manchmal automatisch bedrohlicher ein als Männer ohne Migrationshintergrund. Stereotype und Vorurteile können also unsere Einschätzungen beeinflussen, auch wenn wir das nicht wollen oder bemerken. Das trifft vor allem dann zu, wenn wir unsere Urteile unter Zeitdruck fällen oder abgelenkt sind[2][3].

Wie vermeide ich den Einfluss von Stereotypen und Vorurteilen

Wie können Sie vermeiden, dass Stereotype und Vorurteile automatisch Ihr Urteilen und Handeln beeinflussen? Einerseits können Sie versuchen die Stereotype und Vorurteile abzubauen. Das heißt, dass Sie Stereotype gegenüber geflüchteten Menschen beispielsweise mittels Informationen und Trainings umlernen. Allerdings zeigen aktuelle Forschungsergebnisse, dass automatisch aktivierte Stereotype und Vorurteile nur selten geändert werden können[4] und eine gelungene Veränderung nicht dauerhaft ist[5]. Eine andere Möglichkeit den Einfluss von Stereotypen und Vorurteilen in Entscheidungen zu verhindern, besteht darin, dass Sie Bedingungen schaffen, die die Kontrolle von Stereotypen und Vorurteilen erleichtern.

Die wichtigste Voraussetzung dafür ist, dass Sie in irgendeiner Form motiviert sind, ein vorurteilsfreies individuelles Urteil über die geflüchtete Person zu treffen. Dabei werden zwei Arten von Motiven unterschieden. Einerseits können Sie motiviert sein vorurteilsfrei zu urteilen, weil Ihr soziales Umfeld Sie dazu ermutigt (extrinsische Motivation). Sie wollen dann nicht „rassistisch“ oder „fremdenfeindlich“ erscheinen. Andererseits können Sie tief verankerte egalitäre Motive haben, die unabhängig davon sind, was andere denken (intrinsische Motivation)[6][7]: Wer die politische und soziale Gleichheit von Menschen anstrebt, wer Menschen gerecht behandeln möchte oder wer davon überzeugt ist, dass die Stereotype gegenüber geflüchteten Menschen nicht auf jede geflüchtete Person gleichermaßen zutreffen, kann den Einfluss von Stereotypen und Vorurteilen besser kontrollieren als Personen die nur durch ihr soziales Umfeld motiviert sind. Wenn Sie intrinsisch motiviert sind, also wenn bei Ihnen die erwähnten Überzeugungen tief verankert sind, werden Sie in der Regel Stereotype und Vorurteile weniger „automatisch“ anwenden[8][9][10].

Intrinsische Motivation fördern

Um zu verhindern, dass Stereotype und Vorurteile Ihre Einschätzungen automatisch beeinflussen, sollten Sie also nicht nur vorurteilsfrei erscheinen wollen, sondern von Egalität und der Übergeneralisierung von Stereotypen überzeugt sein. Wie können Sie diese intrinsische Motivation fördern? Eine Strategie besteht darin, dass Sie für mögliche negative Konsequenzen von Stereotypisierung und Vorurteilsanwendung sensibilisiert sind[11]. Um das langfristig zu erreichen, können Ihnen Trainings helfen (z.B. in Diversitätstrainings oder Antirassismustrainings)[12][13][14][15]. Insbesondere zeigen Forschungsarbeiten auch, dass wiederholt erlebter positiver Kontakt und Freundschaften mit geflüchteten Menschen, Vorurteile abbaut und für einzelne Schicksale sensibilisiert[16][17].

Die Beeinflussung durch Stereotype und Vorurteile bewusst machen

Sind Sie bereits in irgendeiner Weise (intrinsisch oder extrinsisch) motiviert stereotyp- und vorurteilsfreie Einschätzungen zu treffen, hilft es zudem, wenn Sie sich darüber bewusst sind, dass allein die Zugehörigkeit einer Person zur Gruppe geflüchteter Menschen Ihre Einschätzungen beeinflussen kann. Wenn Sie aufmerksam sind, wann Gruppenmitgliedschaften Ihre Urteile beeinflussen, schaffen Sie es besser Stereotypisierung zu vermeiden[18]. Des Weiteren ist es auch wichtig, dass Sie sich für Ihre Einschätzungen Zeit nehmen, so dass Sie Ihre Urteile und Entscheidungen in Bezug auf die geflüchtete Person gut überlegen können. Geht es zum Beispiel um eine Empfehlung für ein berufliches Bildungsprogram, dann ist es ratsam objektive Kriterien zusammen zu tragen (Zeugnisse der Person, bisherige Arbeitserfahrung, Kenntnisse verschiedener Sprachen etc.), die für die Entscheidungsfindung relevant sind. Die Verwendung von objektiven Kriterien bei der Beurteilung von geflüchteten Personen, reduziert den Einfluss von Stereotypen und Vorurteilen auf die Einschätzung. Erstellen Sie sich beispielsweise ein Beurteilungsschema, das persönliche Fähigkeiten und Kenntnisse der einzelnen Person abfragt. Dieses können Sie dann gezielt am Individuum orientiert beantworten. Lernen Sie somit die Person in ihren individuellen Eigenschaften, ihren Fähigkeiten, ihren Kenntnissen und ihren Interessen kennen und nehmen Sie sich Zeit dafür.

Was tun bei Zeitdruck?

Sind Sie bei Ihren Urteilen oft unter Zeitdruck? Dann kann Ihnen eine Strategie der Verinnerlichung von Situations-Reaktionsverknüpfungen in der Form von „Wenn Situation X eintritt, dann mache ich Y“ helfen[19]. Beispielsweise könnten Sie sich folgende Handlungsstrategie fest vornehmen und einprägen: „Wenn ich eine geflüchtete Person sehe, dann achte ich auf ihre individuellen Eigenschaften“. Durch eine derartige erlernte Verknüpfung können Sie das Ziel, Ihre Aufmerksamkeit auf individuelle Eigenschaften der Person zu richten, einfacher umsetzen. Des Weiteren können Sie herausstechende ungewöhnliche Objekte (z.B. die Skulptur eines farbenfrohen Herzens) dort platzieren, wo Sie gewöhnlich Ihre Einschätzungen treffen (zum Beispiel am Schreibtisch). Falls Sie ihre Einschätzungen an unterschiedlichen Orten treffen, dann könnten Sie ein Accessoire, wie beispielsweise einen speziellen Stift oder ein farbiges Papier nutzen, dass Sie daran erinnert die spezifischen individuellen Eigenschaften der Person wahrzunehmen. Diese Objekte erinnern Sie dann an Ihr Ziel vorurteilsfrei zu urteilen[20]. Beide Strategien oder auch eine Kombination davon, können Ihnen helfen, Ihre Ziele auch dann umzusetzen, wenn Sie unter Zeitdruck stehen oder durch eine Fülle an Anforderungen abgelenkt sind. Werden diese Strategien wiederholt eingesetzt und wird Stereotypkontrolle selbst die gewohnte Verhaltensweise, dann werden Stereotype und Vorurteile auch nicht mehr automatisch Urteile und Handlungen steuern[21].

[1] Dovidio, J. F., Hewstone, M., Glick, P., Esses, V. M. (2010). Prejudice, stereotyping and discrimination: theoretical and empirical overview. In J. F. Dovidio, M. Hewstone, P. Glick, & V. M. Esses (Eds.), SAGE handbook of prejudice, stereotyping, and discrimination (pp. 3-28). Thousand Oaks, CA: SAGE.

[2] Correll, J., Park, B., Judd, C. M., & Wittenbrink, B. (2002). The police officer’s dilemma: Using ethnicity to disambiguate potentially threatening individuals. Journal of Personality and Social Psychology, 83, 1314-1329.

[3] Wigboldus, D. H. J., Sherman, J. W., Franzese, H. L., & van Knippenberg, A. (2004). Capacity and comprehension: Spontaneous stereotyping under cognitive load. Social Cognition, 22, 292-309.

[4] Lai, C. K., Marini, M., Lehr, S. A., Cerruti, C., . . . Nosek, B. A. (2014). Reducing implicit racial preferences: I. A comparative investigation of 17 interventions. Journal of Experimental Psychology: General, 143, 1765-1785.

[5] Lai, C. K., Skinner, A. L., Cooley, E., Murrar, S., Brauer, M., Devos, T., . . . Marhsburn, C. K. (2016). Reducing implicit racial preferences: II. Intervention effectiveness across time. Journal of Experimental Psychology: General, 145, 1001-1016.

[6] Dunton, B. C., & Fazio, R. H. (1997). An individual difference measure of motivation to control prejudiced reactions. Personality and Social Psychology Bulletin, 23, 316-326.

[7] Plant, E. A., & Devine, P. G. (1998). Internal and external motivation to respond without prejudice. Journal of Personality and Social Psychology, 75, 811–832.

[8] Glaser, J., & Knowles, E. D. (2008). Implicit motivation to control prejudice. Journal of Experimental Social Psychology, 44, 164-172.

[9] Gonsalkorale, K., Sherman, J. W., Allen, T. J., Klauer, K. C., & Amodio, D. M. (2011). Accounting for successful control of implicit racial bias: The roles of association activation, response monitoring, and overcoming bias. Personality and Social Psychology Bulletin, 37, 1534-1545.

[10] Moskowitz, G. B., Gollwitzer, P. M., Wasel, W., & Schaal, B. (1999). Preconscious control of stereotype activation through chronic egalitarian goals. Journal of Personality and Social Psychology, 77, 167-184.

[11] Legault, L., Gutsell, J. N., & Inzlicht, M. (2011). Ironic effects of antiprejudice messages: how motivational interventions can reduce (but also increase) prejudice. Psychological Science, 22, 1472-1477.

[12] Ehrke, F., Berthold, A., & Steffens, M. C. (2014). How diversity training can change attitudes: Increasing perceived complexity of superordinate groups to improve intergroup relations. Journal of Experimental Social Psychology, 53, 193-206.

[13] Kalinoski, Z. T., Steele‐Johnson, D., Peyton, E. J., Leas, K. A., Steinke, J., & Bowling, N. A. (2013). A meta‐analytic evaluation of diversity training outcomes. Journal of Organizational Behavior, 34(8), 1076-1104.

[14] Rudman, L. A., Ashmore, R. D., & Gary, M. L. (2001). ‚Unlearning‘ automatic biases: The malleability of implicit prejudice and stereotypes. Journal of Personality and Social Psychology, 81, 856-868.

[15] Wagner, U. & Farhan, T. (2008). Programme zur Prävention und Veränderung von Vorurteilen. In L.-E. Petersen & Six B. (Eds.), Stereotype, Vorurteile und soziale Diskriminierung (pp. 273–282). Weinheim, Basel: Beltz Verlag.

[16] Barlow, F. K., Paolini, S., Pedersen, A., Hornsey, M. J., Radke, H. R., Harwood, J., . . . Sibley, C. G. (2012). The contact caveat negative contact predicts increased prejudice more than positive contact predicts reduced prejudice. Personality and Social Psychology Bulletin, 38, 1629-1643.

[17] Pettigrew, T. F., & Tropp, L. R. (2006). A meta-analytic test of intergroup contact theory. Journal of Personality and Social Psychology, 90, 751-783.

[18] Strack, F., & Hannover, B. (1996). Awareness of influence as a precondition for implementing correctional goals. In P. M. Gollwitzer, J. A. Bargh (Eds.), The psychology of action: Linking cognition and motivation to behavior (pp. 579-596). New York, NY US: Guilford Press.

[19] Gollwitzer, P. M., & Schaal, B. (1998). Metacognition in action: The importance of implementation intentions. Personality and Social Psychology Review, 2, 124-136.

[20] Rogers, T., & Milkman, K. L. (2016). Reminders through association. Psychological Science, 7, 973-986.

[21] Devine, P. G., Forscher, P. S., Austin, A. J., & Cox, W. T. L. (2012). Long-term reduction in implicit race bias: A prejudice habit-breaking intervention. Journal of Experimental Social Psychology, 48, 1267–1278.

Diesen Artikel bitte zitieren als: Roth, J. (2018). (Wie) kann ich vermeiden, dass ich geflüchtete Menschen stereotypisiere oder sie vorurteilsbehaftet einschätze? Fachnetz Flucht, 1. Verfügbar unter https://www.fachnetzflucht.de/wie-kann-ich-vermeiden-dass-ich-gefluechtete-menschen-stereotypisiere-oder-sie-vorurteilsbehaftet-einschaetze/

Veröffentlicht am 30.04.2018