Geflüchtete Familien aus der Ukraine

Kurzübersicht

Das Forschungsprojekt „Geflüchtete Familien aus der Ukraine“ basiert auf qualitativen Interviews mit ukrainischen Geflüchteten, die unmittelbar nach der Eskalation des Krieges in Ukraine gemeinsam mit Familienmitgliedern in den Städten Berlin und München Schutz suchten. Das Projekt ermöglicht umfassende Einblicke in die Situation und subjektiven Perspektiven von ukrainischen Geflüchteten. Es folgt dem Grundsatz, dass eine vorurteilsfreie Auseinandersetzung mit der Lebenssituation der geflüchteten Menschen stattfinden muss, um sie bedarfsgerecht unterstützen zu können.

 

Wie ist unser Projekt aufgebaut und wie ist seine Laufzeit?

Das Forschungsprojekt basiert auf qualitativen Interviews mit ukrainischen Geflüchteten, die unmittelbar nach der Eskalation des Krieges in Ukraine in den Städten Berlin und München Schutz suchten. Der Fokus liegt dabei vor allem auf Personen, die gemeinsam mit Familienmitgliedern wie Kindern und älteren Angehörigen migriert sind. Um die Ankommensprozesse der Geflüchteten zu dokumentieren und untersuchen, haben wir dieselben Individuen über einen Zeitraum von sechs Monaten viermal interviewt, mit jeweils vier bis sechs Wochen zwischen den Interviews. Wir starteten die Feldforschung im September 2022, etwa sechs Monate nachdem die Teilnehmenden in Deutschland ankamen. Die letzten Interviews wurden im März 2023 erhoben. Eine weitere Welle Interviews ist im Februar 2024 geplant.

Welches Ziel verfolgen wir mit unserem Projekt?

Unser Projekt ermöglicht umfassende Einblicke in die Situation und subjektiven Perspektiven von ukrainischen Geflüchteten. Wir erfassen sowohl Entwicklungen in Bereichen wie der Wohn- und Arbeitssituation, der Betreuung und Beschulung der Kinder, dem Kontakt mit deutschen Behörden, Zukunftsaussichten, sozialen Netzwerken, als auch dem Wohlbefinden der Teilnehmenden. Außerdem erlaubt unser Forschungsdesign Themen aufzugreifen und zu vertiefen, die sich als besonders relevant herausgestellten, wie beispielsweise Überlegungen zur Rückkehr in die Ukraine.

Was hat gut funktioniert und weshalb? Welche konkreten Maßnahmen haben unserer Meinung nach zum Erfolg beigetragen?

Die Mehrheit der Befragten hat an allen vier Interviewwellen teilgenommen und die Interviewsituation als positive Erfahrung bewertet. Die konstante Teilnahme kann vor allem auf die Beziehung zwischen Forschenden und Teilnehmenden zurückgeführt werden. Eine Begegnung auf Augenhöhe, gegenseitiges Vertrauen und das Verständnis der Teilnehmenden als Ko-Produzenten von Wissen führt zu aufschlussreichem Datenmaterial, welches tiefe Einblicke in ihre Erfahrungs- und Gefühlswelten gewährt. Teilnehmende berichten, dass die Interviews Raum schaffen, Themen zu reflektieren, die im stressigen Alltag oft untergehen, und die Möglichkeit bieten, ihrer Stimme Gehör zu verschaffen. Die Gespräche fanden auf Ukrainisch und Russisch statt. Dies half nicht nur dabei sprachliche Hürden zu überbrücken, sondern auch ein Gefühl von Vertrautheit zu schaffen. Außerdem entschieden die Teilnehmenden über Zeit und Ort der Gespräche. Somit konnten sie die Interviews in ihren zeitlich begrenzten Alltag implementieren und hatten die Möglichkeit Orte zu wählen, an welchen sie sich sicher fühlen und die Interviewsituation selbst mitgestalten.

Was sind Grenzen der Arbeit? Bisherige Herausforderungen? Was kann noch verbessert werden?

Aufgrund der begrenzten Größe unserer Stichprobe ist es uns nicht möglich, die Diversität der Geflüchteten aus der Ukraine und deren Erfahrungen abzubilden. Unsere Stichprobe ist auf Personen mit ukrainischer Staatsbürgerschaft begrenzt, da für sie eine andere Gesetzeslage gilt als für Drittstaatsangehörige aus der Ukraine. Außerdem wurden alle Befragten privat untergebracht. Dementsprechend geht aus unseren Daten nicht hervor, wie die Situation derer ist, die in Gemeinschaftsunterkünften wohnen. Auch die Situation von Sinti*zze und Rom*nja haben wir in unseren Daten nicht erfasst.

Nichtsdestotrotz sind wir uns der Grenzen unserer Forschung bewusst. Ergänzend zu Gesprächen mit Geflüchteten selbst führen wir Hintergrundgespräche mit Lokalverwaltungen und Organisationen, die mit der Geflüchtetenhilfe betraut sind. Das ermöglicht uns, unsere Erkenntnisse zu kontextualisieren und die Grenzen unserer Forschung zu erkennen und reflektieren.

Wir können basierend auf unserer Forschung keine allgemeingültigen Aussagen über ukrainische Geflüchtete treffen. Das Ziel ist vielmehr, umfassende Einblicke in das Leben der Befragten zu bekommen.

Was ist unsere Empfehlung für Personen, die sich ehren- oder hauptamtlich für Geflüchtete engagieren möchten (z.B. Empfehlungen für den Umgang mit Herausforderungen, zum Abbau von Hierarchien, allgemeine Empfehlungen, die Ihnen auf Basis Ihrer Erfahrung als wichtig erscheinen)?

Flucht findet oft ungeplant und unvorbereitet statt. Dieser Umstand, sowie Erfahrungen mit Krieg, können traumatische Folgen haben. Unsere Forschungsergebnisse zeigen, dass Geflüchtete nach der Ankunft in Deutschland einige Zeit benötigen, um sich mental an die neue Situation zu gewöhnen. Außerdem durchlaufen sie zunächst viele bürokratische Prozesse wie die Registrierung und Anmeldung in diversen Behörden, welche oft als herausfordernd wahrgenommen werden und viel Zeit erfordern. Bedarfe werden unterschiedlich priorisiert. Erst wenn die Grundbedürfnisse, wie beispielsweise adäquater Wohnraum, erfüllt sind, wird sich anderen Bedarfen, wie der Integration in den Arbeitsmarkt oder dem Wunsch nach sozialen Kontakten, zugewandt.

Vor allem ukrainische Geflüchtete sind sich oftmals nicht sicher, ob sie langfristig in Deutschland bleiben möchten. Unsere Interviews zeigen, dass dies oft keinen Einfluss darauf hat, ob sie die deutsche Sprache lernen oder Arbeit in Deutschland suchen. Jedoch kann der Wunsch nach Rückkehr zu Frustration und Rückschläge führen.

Bei der Arbeit mit Geflüchteten ist dementsprechend mitzudenken, welche Bedarfe Menschen in ihrer spezifischen Lebenssituation haben, und anzuerkennen, dass der Ankommensprozess nicht geradlinig und zielgerichtet ist. Viele haben nahestehende Personen, die sich in der Ukraine aufhalten. Es ist dementsprechend wichtig zu berücksichtigen, dass die Lebensrealität dieser Menschen in zwei Ländern parallel stattfindet.

Was ist das Know-how aus unserer praktischen Erfahrung, welches wir anderen Engagierten mitgeben möchten?

Geflüchtete sind mit diversen Stigmata behaftet und unterliegen dem Druck sozialer Erwartungen in Deutschland und in der Ukraine. Bedarfsgerechte Unterstützung zu leisten erfordert, sich zunächst vorurteilsfrei mit der Lebenssituation der Menschen zu befassen.

Welche sonstigen Anmerkungen oder Ergänzungen möchten Sie machen?

Bei diesem Projekt handelt es sich um ein Forschungsprojekt. Es dient nicht dazu, direkte, humanitäre Hilfe zu leisten, sondern vielmehr der Erkenntnisgewinnung.

 

Inhalt von

Larissa Kokonowskyj

 

Die wichtigsten Eckdaten und Kontaktmöglichkeiten:

Titel des Programms/der Initiative „Geflüchtete Familien aus der Ukraine “
Zeitspanne Juli 2022 – Dezember 2024
Projektleitung Prof. Dr. Magdalena Nowicka
Projektkoordination Dr. Nora Ratzmann
Projektassistenz Dr. Katarina Mozetic, Larissa Kokonowskyj, Fidan Aliyeva, Karolina Lebek, Vincent Schorer
Name und Verbundart der durchführenden Organisation DeZIM (Deutsches Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung)
Kontaktdaten DeZIM-Institut
Mauerstraße 76
10117 Berlin
info@dezim-institut.de
Zielgruppe des Projekts Wissenschaft und Politik