Wie können Vorurteile gegenüber Muslim*innen abgebaut werden?

Vorurteile gegenüber Muslim*innen sind stärker ausgeprägt als gegenüber Menschen mit Migrationshintergrund. Öffentliche Debatten drehen sich oft um die Ablehnung ihrer religiösen Praktiken und die Frage, ob Muslim*innen demokratische und liberale Werte teilen. Vorurteile können abgebaut werden, wenn Menschen ein besseres Verständnis davon haben, was die religiösen Praktiken bedeuten, wieso sie praktiziert werden und wenn ihre Anerkennung nicht als Gefahr für die eigene Kultur gesehen wird.

Download PDF

Im Fokus von politischen Auseinandersetzungen über die Integration von Menschen mit Migrationshintergrund stehen oft Muslim*innen sowie deren Werte und religiöse Praktiken, die viele als unvereinbar mit dem Verständnis westlicher Werte erachten. In Deutschland entfacht die politische Rechte alle paar Jahre eine Debatte über die Leitkultur und die Forderung, dass sich Menschen mit Einwanderungsgeschichte zu diesen Werten bekennen, wobei oftmals solche aus Ländern mit mehrheitlich muslimischer Bevölkerung gemeint sind. In ihrem jüngsten Vorschlag für 2023 hat die CDU beispielsweise festgelegt, dass nur diejenigen Muslim*innen zu Deutschland gehören, welche die Werte des deutschen Grundgesetzes teilen.[1]

Unterschiedliche Gruppen von Muslim*innen

Einstellungen gegenüber Muslim*innen fallen oft deutlich negativer aus als solche gegenüber anderen Migrationsgruppen.[2] Wenn es um den Abbau von Vorurteilen gegenüber Muslim*innen geht, gibt es eine Reihe von Faktoren, die auch für den Abbau von Vorurteilen gegenüber Menschen mit Migrationshintergrund im Allgemeinen relevant sind.[3] (Siehe hierzu weitere Beiträge im Fachnetzwerk Sozialpsychologie zu Flucht und Integration). Dies hängt u. a. damit zusammen, dass die meisten Muslim*innen in Europa einen Migrationshintergrund haben und Menschen aus Ländern mit muslimischer Bevölkerungsmehrheit eine der größten Migrationsgruppen in Westeuropa darstellen. Muslim*innen können deswegen auch aus verschiedenen Gründen angefeindet werden: Nicht nur weil sie einer anderen Religionsgruppe als die meisten Westeuropäer*innen angehören, sondern auch weil sie einen anderen nationalen bzw. ethnischen Hintergrund haben.[4]

Es zeigt sich, dass Menschen unter „Muslim*innen“ oft verschiedene Gruppenzugehörigkeiten verstehen, die sich auf nationale, ethnische oder religiöse Kategorien beziehen. Umgekehrt spielt für viele Migrant*innen aus Ländern mit muslimischer Bevölkerungsmehrheit der Islam keine übergeordnete Rolle, da sie sich nicht religiös identifizieren oder anderen Gruppenzugehörigkeiten eine bedeutendere Rolle zuschreiben. „Muslim*innen“ stellen eine sehr heterogene Gruppe dar.[5] Deswegen sollte immer reflektiert werden, ob in bestimmten Kontexten im Umgang mit Menschen mit Migrationshintergrund, „Muslim*innen“ überhaupt eine relevante Gruppenkategorie darstellen und es nicht angebrachter wäre von Migrant*innen aus z. B. der Türkei zu sprechen, gerade wenn es nicht um religiöse Fragen oder Rechte geht.[6]

Während Vorurteile gegenüber Muslim*innen generell mit Ablehnung weiterer Menschengruppen korrelieren, werden vor allem die Religiosität von Muslim*innen und deren religiösen Praktiken als Problem gesehen, gerade wenn es sich um fundamentalistische Einstellungen handelt.[7] Umgekehrt werden Muslim*innen, die nicht oder wenig religiös sind, kaum negativer wahrgenommen als nicht-religiöse Migrant*innen aus christlich geprägten Ländern. Einstellungen werden oft lediglich dadurch beeinflusst, wie eine Gruppe in der Öffentlichkeit dargestellt wird. Es hilft also bereits, sich darüber Gedanken zu machen, wie über Gruppen gesprochen wird, welche Kategorien und Begriffe benutzt werden und wie gewisse (falsche) Vorstellungen korrigiert werden können. Zu Beginn kann darauf hingewiesen werden, dass nicht alle Migrant*innen aus muslimischen Ländern religiös sind und Religiosität nicht mit Fundamentalismus gleichgesetzt werden kann.

Bildung und liberale Einstellungen

Bildung gilt als einer der wichtigsten Faktoren für den Abbau von Vorurteilen. Es wird oft argumentiert, dass Bildung unsere kognitiven Fähigkeiten, unsere sozialen Kompetenzen, unsere Wertorientierung und sozialen Status beeinflusst.[8] Höhere Bildung sollte deshalb zu einer differenzierten Wahrnehmung und Informationsverarbeitung führen und zu weniger stereotypem Denken. Es ist aber auch so, dass gebildetere Menschen sich in sozialen Sphären bewegen, in denen fremdenfeindliche Haltungen als unerwünscht gelten und ihre bessere sozial und wirtschaftliche Situation dazu führt, dass sie Zuwander*innen weniger als Konkurrent*innen auf dem Arbeitsmarkt wahrnehmen.[9] Es kann also auch sein, dass Gebildete sich sozial erwünscht verhalten.

Während es Studien gibt, die zeigen, dass ein zusätzliches Jahr an einer Bildungseinrichtung tatsächlich Vorurteile abbaut,[10] zeigen andere, dass Bildung an sich kaum eine Rolle spielt, weil sich bei Menschen gewisse grundlegende Werte schon sehr früh herausbilden.[11] Das deutet darauf hin, dass die Wertschätzung von Vielfalt schon in der Kindheit vermittelt und gelernt wird und Familien wie auch die frühkindliche Erziehung dabei eine wichtige Rolle spielen.

Während die Rolle von Bildung in Bezug auf Vorurteile eine grundsätzlich komplexere Rolle spielt als oft angenommen, wird es in Bezug auf Muslim*innen und generell religiöse Gruppen noch komplizierter. Gebildete und liberale Menschen sind gegenüber religiösen Menschen eher intolerant. In den Vereinigten Staaten sind sie sehr kritisch gegenüber traditionellen christlichen Formen der Religiosität.[12] Auch in Europa sind Gebildete nicht unbedingt toleranter, vor allem wenn es um religiöse Praktiken wie das Tragen des Kopftuchs geht. Liberale kritisieren oft die Rolle der Frauen und den allgemeinen Mangel an Selbstbestimmung in muslimisch geprägten Gesellschaften.[13] Muslim*innen werden oft Werte zugeschrieben, die im Widerspruch zu liberalen Werten wie Individualismus und Selbstbestimmung stehen.[14] Vor allem das muslimische Kopftuch wird manchmal lediglich als Zeichen der Unterwerfung und Ungleichbehandlung festgesetzt. Muslimische Frauen, die das Kopftuch als Ausdruck ihrer Beziehung zu Gott oder eine Form des Empowerments verstehen, die sich als eine Kritik an wandelnden Schönheitsidealen und der Objektifizierung der Frau versteht, werden dabei verdrängt.

Es stellt sich also die Frage, wie gebildete Menschen mit liberalen Wertvorstellungen Gruppen wahrnehmen, die in ihren Augen diese Wertvorstellungen nicht teilen. Diese Frage bezieht sich auf eine der wichtigsten Debatten in der Literatur zum Liberalismus. Es ist umstritten, ob der Liberalismus entweder eine inhaltliche Lebensweise oder ein Verfahren zur Versöhnung vieler Lebensweisen darstellt.[15] Mit anderen Worten, liberal zu sein kann entweder bedeuten, alle existierenden Lebensformen zu akzeptieren oder nur diejenigen, die liberalen Vorstellungen entsprechen.

Muslimisch-religiöse Praktiken und Rechte

Aber auch hier kann Bildung helfen. Einstellungen gegenüber dem Kopftuch werden dadurch beeinflusst, aus welchen Gründen es getragen wird: Ein Kopftuch, das aus persönlicher Entscheidung getragen wird, wird am meisten toleriert, eines aufgrund von sozialem Druck innerhalb der muslimischen Gemeinschaft am wenigsten.[16] Der Kontext beeinflusst vor allem die Positionierung von Menschen mit stärkeren liberalen Einstellungen, während solche mit autoritären Einstellungen sich dadurch nicht beeinflussen lassen.  Vorurteile gegenüber Frauen mit einem Kopftuch verschwinden, wenn klar wird, dass diese Frauen liberale Werte teilen.[17] Es kann also sehr hilfreich sein, darüber zu sprechen, wieso muslimische Frauen ein Kopftuch tragen, dass es dafür sehr unterschiedliche Gründe gibt und welche Werte sie eigentlich vertreten.

Religiöse Praktiken von Muslim*innen und Rechte für islamische Glaubensgemeinschaften werden vor allem dann abgelehnt, wenn diese in Konflikt mit den eigenen Praktiken oder als Gefahr für die eigene Kultur gesehen werden. Als Zeichen der Unvereinbarkeit muslimischer und westlicher Praktiken wird oft aufgeführt, dass Muslim*innen nicht die Hand einer Person schütteln sollen, die nicht dem eigenen Geschlecht angehört. Wenngleich selbst viele muslimische Gelehrte ein derartiges Verständnis zu den Grenzen zwischengeschlechtlicher Interaktion nicht einfordern und nur sehr wenige Muslim*innen dieses Verständnis für sich annehmen, führen diese Fälle immer wieder zu heftigen öffentlichen Debatten.[18]

Solche Konflikte sind aber vermeidbar oder können zumindest entschärft werden, wenn man zum einen das Bewusstsein hat, dass die eigene Kultur nicht mehr Wert besitzt als andere Kulturen und zum anderen weiß, dass sowohl muslimische als auch nicht-muslimische Kulturen über ein umfangreiches Repertoire an Gesten des Respekts verfügen.[19] Diese sind übersetzbar und daher kulturübergreifend austauschbar. Ersatzgesten des Respekts stellen Möglichkeiten dar, um den Konformitätsdruck auf Muslim*innen in alltäglichen Situationen, in denen der zugrunde liegende Wertekonflikt tiefgreifend ist, drastisch zu reduzieren. Wenn Muslim*innen eine Ersatzgeste des Respekts nutzen, indem sie die Hand auf ihr Herz legen, sinken die Forderungen von Nicht-Muslim*innen nach muslimischer Konformität drastisch. Es lohnt sich also genauer nachzufragen, wieso gewisse Praktiken, die einem fremd erscheinen, angewendet werden und was sie bedeuten. Weiter muss daran erinnert werden, dass Religionsfreiheit in einer freiheitlichen und religiös pluralen Gesellschaft, die sich dem Grundgesetz verpflichtet, zu schützen gilt. Dies beinhaltet unterschiedliche Grenzen der körperlichen Interaktion zwischen den Geschlechtern, wie sie beispielsweise traditionalistische Muslim*innen oder orthodoxe Jüd*innen praktizieren, zu achten. Sie müssen einem selbst nicht gefallen, als Vorwand für Diskriminierung und Ausschluss dürfen sie aber nicht herhalten.

Konflikte können auch entschärft werden, wenn deutlich gemacht wird, dass die Anerkennung muslimischer Rechte kein Nullsummenspiel darstellt.[20] Die wachsende Einführung von Halal-Produkten ins Sortiment deutscher Supermarktketten und in der Gastronomie wird deutlich seltener abgelehnt, wenn sie nicht Produkte mit Schweinefleisch ersetzen, sondern lediglich das bestehende Angebot erweitert wird. Einen muslimischen gesetzlichen Feiertag können sich auch deutlich mehr Menschen vorstellen, wenn er keinen christlichen Feiertag ersetzt, sondern als ein zusätzlicher Feiertag eingeführt wird. Ganz allgemein hängen die Meinungen der Menschen von der politischen Ausgestaltung dieser Gruppenrechte ab und sie sind nicht bedingungslos gegen oder für diese Rechte. Es gibt Möglichkeiten, bei Nicht-Muslim*innen Unterstützung für die religiösen Rechte von Muslim*innen zu gewinnen, wenn diese weniger bedrohlich erscheinen. Diese Erkenntnisse haben wichtige politische Auswirkungen, da der Widerstand gegen die Aufnahme muslimischer Migrant*innen verringert werden kann, indem verschiedene Wege zur Regelung eines politischen Themas vorgeschlagen werden.

 

Auf einen Blick
• Der Begriff „Muslim*innen“ wird oft für eine sehr heterogene Gruppe von Menschen benutzt. Viele Menschen, die als Muslim*innen bezeichnet werden, sind nicht religiös und andere Gruppenzugehörigkeiten spielen für sie eine bedeutendere Rolle.
• Auch Menschen mit liberalen Einstellungen können Vorurteile gegenüber Muslim*innen haben, wenn deren Werte als illiberal gesehen werden.
• Einstellungen werden dadurch beeinflusst, wie darüber gesprochen wird, weshalb muslimische Frauen ein Kopftuch tragen und dass es dafür sehr unterschiedliche Gründe gibt.
• Konflikte können entschärft werden, wenn die Anerkennung muslimischer Rechte nicht als Gefahr für die eigene Kultur gesehen wird.

 

Literatur

[1] https://www.deutschlandfunk.de/entwurf-des-cdu-grundsatzprogramms-verschaerfter-migrationskurs-bekenntnis-zum-c-und-zur-leitkultur-100.html (9. Januar 2024).

[2] Bell, D.A., Valenta, M. & Strabac, Z. (2021). A comparative analysis of changes in anti-immigrant and anti-Muslim attitudes in Europe: 1990–2017. Comparative Migration Studies, 9, 57.

[3] Paluck, E. L., Porat, R., Clark, C. S., & Green, D. P. (2021). Prejudice Reduction: Progress and challenges. Annual Review of Psychology, 72, 533–560.

[4] Helbling, M. & Traunmüller, R. (2020). What is islamophobia? Disentangling citizens’ feelings towards ethnicity, religion and religiosity using a survey experiment. British Journal of Political Science, 50, 811-828.

[5] Statham, P. (2024). Challenging the Muslimification of Muslims in research on ‘liberal democratic values’: Why culture matters beyond religion. Journal of Ethnic and Migration Studies 50(1): 203-232.

[6] Brubaker, R. (2013). Categories of analysis and categories of practice: A note on the study of Muslims in European countries of immigration. Ethnic and Racial Studies 36(1): 1-8.

[7] Helbling, M. & Traunmüller, R. (2020). What is islamophobia? Disentangling citizens’ feelings towards ethnicity, religion and religiosity using a survey experiment. British Journal of Political Science, 50, 811-828.

[8] Heyder, A. (2003). Bessere Bildung, bessere Menschen? Genaueres Hinsehen hilft weiter. In W. Heitmeyer (ed.), Deutsche Zustände (Folge 2) (pp. 78-99). Frankfurt am Main: Suhrkamp.

[9] Kühnel, S.M. & Schmidt, P. (2002). Orientierungslosigkeit. Ungünstige Effekte für schwache Gruppen. In W. Heitmeyer (ed.), Deutsche Zustände (Folge 1) (pp.83-95). Frankfurt am Main: Suhrkamp.

[10] Cavaille, Ch. & Marshall, J. (2019). Education and anti-immigration attitudes: Evidence from compulsory schooling reforms across Western Europe. American Political Science Review, 113, 254-263.

[11] Bram L. & Sarrasin, O. (2015). Educated preferences or selection effects? A longitudinal analysis of the impact of educational attainment on attitudes towards immigrants. European Sociological Review, 31, 490–501.

[12] Bolce, L. & de Maio, G. (1999). Religious outlook, culture war politics, and antipathy toward Christian fundamentalists. The Public Opinion Quarterly, 63, 29–61.

[13] Sniderman, P. M. & Hagendoorn, L. (2007). When ways of life collide. Multiculturalism and its discontents in the Netherlands. Princeton: Princeton University Press.

[14] Helbling, M. (2014). Opposing Muslims and the Muslim headscarf in Western Europe. European Sociological Review, 30, 242-257

[15] Gray, J. (2000). The two faces of liberalism. Cambridge: Polity Press.

[16] Velthuis, E., Verkuyten, M., Van der Noll, J. & Smeekes, A. (2022). Tolerance of the Muslim headscarf: Perceived reasons for wearing a headscarf matter. International Journal of Intercultural Relation, 90, 86-96.

[17] Choi, D., Poertner, M. & Sambanis N. (2023). The Hijab penalty: Feminist backlash to Muslim immigrants. American Journal of Political Science, 67, 291-306.

[18] Orgad, L. (2021). Forced to be free: The limits of European tolerance. Harvard Human Rights Journal, 34.

[19] Elisabeth I., Helbling, M., Sniderman, P. & Traunmüller, R. (2023). Value conflicts revisited: Muslims, gender equality and gestures of respect. British Journal of Political Science (im Erscheinen).

[20] Helbling, M., Elisabeth I., & Traunmüller, R. (2023). Zero-sum thinking and the cultural threat of Muslim religious rights. (Manuskript).

 

Bitte zitieren als: Helbling, M. (2024). Wie können Vorurteile gegenüber Muslim*innen abgebaut werden? Magazin des Fachnetzwerks Sozialpsychologie zu Flucht und Integration. Online abrufbar unter https://www.fachnetzflucht.de/wie-koennen-vorurteile-gegenueber-musliminnen-abgebaut-werden