Wie können wir über Unterschiede und Gemeinsamkeiten sprechen ohne Vorurteile zu verstärken?

In unserem Alltag leben und arbeiten wir regelmäßig zusammen mit Personen, die anderen Gruppen angehören als wir. Wir begegnen Personen aus unterschiedlichen Herkunftsländern, mit unterschiedlichen Berufen und Religionen. Wie wir mit und über diese Personen sprechen, drückt nicht nur aus, wie wir selbst über sie denken, es kann auch beeinflussen, wie andere über sie denken und zu Vorurteilen beitragen. Insbesondere bei Gruppen, mit denen viele Personen keinen direkten Kontakt haben, wie beispielsweise Geflüchteten, ist es wichtig uns zu überlegen: Wie können wir über Unterschiede sprechen, ohne dabei Stereotype und Vorurteile zu verstärken?

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Um Personen schnell einzuschätzen, nutzen wir oft Verallgemeinerungen. Diese Stereotype bilden Eigenschaften ab, die wir für gewöhnlich von Personen erwarten, wenn wir sie einer Gruppe zuordnen. Bekannt ist, dass negative Stereotype problematisch sind. Aber auch positive Stereotype beeinflussen unser Zusammenleben maßgeblich. Beispielsweise werden Geflüchtete häufig als gastfreundlich beschrieben. Einerseits könnten wir uns folglich besonders auf die Interaktion mit Geflüchteten freuen und sie anderen Gruppen vorziehen, andererseits kann diese Erwartung auch negative Konsequenzen haben, wenn sie nicht erfüllt wird[1]. Daher ist es wichtig Gruppenunterschiede so zu kommunizieren, dass negative wie positive Stereotype nicht verstärkt werden.

Die Illusion der „einen“ Gruppe

In unserem komplexen sozialen Gefüge gehört jeder Mensch vielen unterschiedlichen Gruppen an. Die Stereotype, die mit diesen Gruppen verknüpft sind, widersprechen sich oftmals. Zur Veranschaulichung stellen wir uns Folgendes vor: ein männlicher Geflüchteter, der gerne Basketball spielt und ein großer Fan koreanischer Popmusik ist. Unsere Vorstellung von ihm hat sich wahrscheinlich beim Lesen dieser Beschreibung verändert, da neue Informationen neue Stereotype aktiviert haben. Wenn es uns gelingt neben Gruppenunterschieden auch zu kommunizieren, dass jeder Mensch Teil von mehr als einer Gruppe ist, können wir Stereotype schwächen.[2] Wollen wir einen Unterschied zwischen Geflüchteten und Einheimischen kommunizieren, sollten wir betonen, dass nicht alle Gruppenmitglieder gleich[3] und auch Menschen unterschiedlicher Herkunft sich in vielerlei Hinsicht ähnlich sind. Hierbei hilft es sich bewusst zu machen, dass jede Person ihre eigene Persönlichkeit hat.[4]

Kleine Wörter machen einen großen Unterschied

Um diese Individualität zu betonen, sollten wir in unserer Kommunikation weniger verallgemeinern und mehr über konkrete Ereignisse sprechen. Anstelle “Geflüchtete sind gastfreundlicher als Einheimische” könnten wir auch “Meine Nachbarn aus Syrien laden mich häufiger zum Essen ein als meine Nachbarn aus Wuppertal.” sagen. Denn je stärker wir in unserer Sprache verallgemeinern, desto mehr bekräftigen wir Stereotype.[5]

Neben dem Fokus auf eine Gruppe spielen die Wörter, mit denen wir Gruppenmitgliedschaften beschreiben, eine wichtige Rolle. Nomen (z.B. „Geflüchtete“) drücken mehr als Adjektive (z.B. „geflüchtete Personen“) eine starke Kategorisierung aus. Durch Nomen ausgedrückte Gruppenmitgliedschaften führen daher zu stärkeren Stereotypen als durch Adjektive ausgedrückte Gruppenmitgliedschaften[6] (siehe Kevin Winters Artikel auf dieser Homepage, 2018)[7]. Dabei sollten wir jedoch insbesondere bei benachteiligten Gruppen darauf achten, wie sie selbst bezeichnet werden möchten. Eine Person könnte es beispielsweise bevorzugen als Geflüchtete oder auch als Afghanin in Deutschland bezeichnet zu werden.

Unsere eigene Perspektive spielt eine Rolle

Allgemein gilt: Welche Aspekte uns an einer anderen Gruppe auffallen, wird davon beeinflusst, aus welcher Perspektive wir sie betrachten. Vergleiche funktionieren ähnlich wie eine Kamera, die automatisch auf das vorderste Objekt fokussiert und den Rest unscharf im Hintergrund abbildet. Vergleichen wir zwei Gruppen, rücken wir eine Gruppe in den Fokus und machen dadurch die andere Gruppe zum verschwommenen Hintergrund. Dadurch werden Eigenschaften, die nur die fokussierte Gruppe hat, besonders betont. Beispielsweise könnten wir sagen, dass Geflüchtete gastfreundlicher sind als Einheimische. Uns fällt das eher auf, weil es sich von unserer Norm abhebt und dadurch vor unsere Vergleichslinse rückt. Rein logisch gesehen wäre die Aussage, dass Einheimische weniger gastfreundlich sind als Geflüchtete, ebenso korrekt.[8] Das Problem bei Vergleichen liegt darin, dass der Fokus oft einseitig auf der Gruppe liegt, die gesellschaftlich weniger angesehen ist. Dadurch werden Stereotype weiterverbreitet und die Wahrnehmung der Gruppe als statusniedrig verstärkt, unabhängig davon ob der Vergleich positiv oder negativ ist.[9] Da auch unsere Alltagskommunikation zur Verbreitung von Stereotypen beiträgt, ist es umso wichtiger, dass wir uns aktiv bemühen die Welt aus verschiedenen Blickrichtungen zu betrachten und uns auch zu fragen: „Wie unterscheiden sich Einheimische eigentlich von Geflüchteten?“.[10]

[1]Moss-Racusin, C. A., Phelan, J. E., & Rudman, L. A. (2010). When men break the gender rules: Status incongruity and backlash against modest men. Psychology of Men & Masculinity, 11(2), 140–151. https://doi.org/10.1037/a0018093

[2]Crisp, R. J., Hewstone, M., & Rubin, M. (2001). Does multiple categorization reduce intergroup bias? Personality and Social Psychology Bulletin, 27(1), 76–89.  https://doi.org/10.1177/0146167201271007

[3] Linville, P. W., & Jones, E. E. (1980). Polarized appraisals of out-group members. Journal of Personality and Social Psychology, 38(5), 689–703. https://doi.org/10.1037/0022-3514.38.5.689

[4] Croom, A. M. (2014). The semantics of slurs: A refutation of pure expressivism. Language Sciences, 41, 227–242. https://doi.org/10.1016/j.langsci.2013.07.003

[5]Leslie, S. J. (2014). Carving up the social world with generics. In T. Lombrozo, J. Knobe, and S. Nichols (Eds.), Oxford studies in experimental philosophy, Volume 1 (pp. 208-232). Oxford University Press.

[6]Carnaghi, A., Maass, A., Gresta, S., Bianchi, M., Cadinu, M., & Arcuri, L. (2008). Nomina sunt omina: On the inductive potential of nouns and adjectives in person perception. Journal of Personality and Social Psychology, 94(5), 839–859. https://doi.org/10.1037/0022-3514.94.5.839

[7]Winter, Kevin (2018). Abstrakt oder konkret: Wie lassen sich Vorurteile durch eine geeignete Wortwahl reduzieren? Online abrufbar unter https://www.fachnetzflucht.de/abstrakt-oder-konkret-wie-lassen-sich-vorurteile-durch-eine-geeignete-wortwahl-reduzieren

[8]Tversky, A. (1977). Features of similarity. Psychological Review, 84(4), 327–352. https://doi.org/10.1037/0033-295X.84.4.327

[9] Hegarty, P., & Bruckmüller, S. (2013). Asymmetric explanations of group differences: Experimental evidence of Foucault’s disciplinary power. Social and Personality Psychology Compass, 7(3), 176–186.  https://doi.org/10.1111/spc3.12017

[10]Kashima, Y. (2000). Maintaining cultural stereotypes in the serial reproduction of narratives. Personality and Social Psychology Bulletin, 26(5), 594–604. https://doi.org/10.1177/0146167200267007

Bitte zitieren als: Braun, Maike* & Lux, Alexandra* (2021). Wie können wir über Unterschiede und Gemeinsamkeiten sprechen ohne Vorurteile zu verstärken? Online abrufbar unter http://www.fachnetzflucht.de/wie-koennen-wir-ueber-unterschiede-und-gemeinsamkeiten-sprechen-ohne-vorurteile-zu-verstaerken. *geteilte Erstautor*innenschaft